Im Flugverkehr und in den Flughäfen gibt’s teilweise Chaos, weil das Personal fehlt. Im Öffentlichen Nahverkehr gibt es Probleme, weil Fachkräfte fehlen, der Fahrplan musste ausgedünnt werden. In der Gastronomie können Restaurants teilweise ihre Öffnungszeiten nicht aufrechterhalten weil Fachkräfte fehlen. In der Pflege fehlen Fachkräfte. In der Kinderbetreuung fehlen Fachkräfte sodass notwendige KITA-Kapazitäten nicht geschaffen werden können. In der IT fehlen Fachkräfte. Diese Liste lässt sich fast beliebig über die meisten Branchen fortsetzen, übrigens unabhängig von der Frage der „Bezahlung der Jobs“. Auch hochbezahlte Stellen zB. bei Beratungsunternehmen oder in der Industrie bleiben unbesetzt.
Dieser Fachkräftemangel kommt nicht von ungefähr, eigentlich war er seit Jahrzehnten absehbar. Derzeit scheidet die „Babyboom Generation“ aus dem Berufsleben aus. Die geburtenstarken Jahrgänge hören jetzt auf zu arbeiten, die deutlich geburtenschwächeren Jahrgänge schließen nun die Schule oder Ausbildung ab. Das Missverhältnis der Kopfanzahl? dieser „Generationen“ ist eklatant. Teilweise ausgeglichen wird es durch eine steigende Quote berufstätiger Frauen, der Anstieg der Erwerbstätigkeit älterer Personen wie auch durch Zuwanderung. Gleichwohl: Der Fachkräftemangel ist zum einen eine große Herausforderung für unser umlagefinanziertes Sozial- und Staatswesen. Vor allem ist er eine Bürde für Arbeitgeber und damit vor eine Gefahr für viele Unternehmen. Auch im Kreis Bergstraße.
Was sind die Handlungsfelder, um dagegen anzukämpfen:
1. Grundsätzlich wird „der Kuchen“ kleiner. Weniger potentielle Arbeitskräfte stehen zur Verfügung. Deshalb ist es wichtig, dass die Unternehmen im Kreis Bergstraße im Wettbewerb um diese Arbeitskräfte überregional erfolgreich sind.
Der wichtigste Beitrag, den Kommunen also auch die Kommunalpolitik in diesem Wettbewerb zur Unterstützung der Wirtschaft leisten können, ist, eine attraktives Lebensumfeld zu schaffen. Dazu gehören gute Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Freizeitangebot, Angebote für Familien zB.). Wichtig ist allerdings vor allem die Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums. Hierfür „Bauland“ zu Verfügung zu stellen, ist in unserem wachsenden Landkreis eine besondere Herausforderung.
In meiner Aufgabe setze ich deshalb einen Schwerpunkt im Bereich der Schulinvestitionen, weil ich dies als wichtige Struktur bei der Wahl des Lebensumfelds erachte. Wir investieren zudem in den Ausbau unserer Infrastruktur (u.a. Glasfaseranschlüsse wie auch Radwege), um als Wohnstandort attraktiv zu sein.
2. Wir werden die Anzahl der Personen, welche keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, deutlich reduzieren müssen.
Wir haben derzeit etwa 4 % Arbeitslosenquote. Dies ist wenig, zeigt aber trotzdem, dass es hunderte von Menschen gibt, welche als Arbeitskraft zur Verfügung stehen könnten, wenn es gelingt, deren individuelle Hemmnisse zu überwinden.
Hier sind wir im Kreis Bergstraße mit unserem Jobcenter „Neue Wege“ bereits sehr gut. Die Instrumente des „Forderns und Förderns“ wurden bzw. werden von uns eingesetzt, um arbeitslose Menschen in die Lage zu versetzen, eine neue Tätigkeit aufzunehmen.
Aktuell macht uns der Bund mit dem geplanten Bürgergeld aber auch in Einschränkungen unser Möglichkeiten „zu Fordern“ und „zu Fördern“ unsere Aufgabe schwerer. Persönlich halte ich die Idee eines Bürgergeld mit Blick auf den Fachkräftemangel für eine schlechte Idee.
Zudem müssen bereits in der frühen Bildungslaufbahn der Menschen weitgehende Anstrengungen unternommen werden, die besten Voraussetzungen für die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu schaffen. Im Kreis Bergstraße unternehmen wir dies mit vielen Initiativen, beispielsweise die Talent-Companys der Strahlemann-Stiftung an unseren Schulen.
3. Der Staat sollte die „Staatsquote“ absenken und seinen eigenen Personalbedarf reduzieren, da der Staat um die zu knappe Ressource „Nachwuchskräfte“ im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft steht, gleichermaßen aber auf starke und international wettbewerbsfähige Unternehmen angewiesen ist.
Hierzu gibt’s zwei wesentliche Wege: Tatsächlich der Verzicht auf Qualität oder Komfort bei staatlichen Leistungen. Würde man beispielsweise bestimmte Verwaltungsleistungen nur noch Online anbieten bzw. Öffnungszeiten reduzieren, entstehen Einsparpotentiale. Leider ist die Bereitschaft auf ein „Minus“ bei Qualität oder Komfort bei vielen nicht sehr ausgeprägt. Weitaus öfter höre ich stattdessen den Ruf nach einen Mehr von Leistungen bzw. Angeboten, einem Mehr von Kontrollen, etc.
Der zweite Weg ist, mehr Flexibilität bei Aufgaben zu schaffen bzw. Standards zu reduzieren. Nicht jede Aufgabe muss immer von einer Fachkraft wahrgenommen werden. Dies gilt umso mehr, als die Alternative in Ermangelung von Fachkräften sein kann, gar nicht handlungsfähig zu sein.
4. Digitalisierung und Automatisierung: Wir müssen Technologie als Möglichkeit nutzen, Aufgaben zu ersetzen. Natürlich erzeugt dies zunächst Widerstände bzw. Ängste. Ich sehe darin eine Chance!
Es werden möglicherweise ganze Branchen zukünftig mit weniger Arbeitskräften auskommen. Aktuell ist von einem Versuch von „Aldi Nord“ zu lesen, die Kassen in seinen Märkten komplett durch Videosysteme zu ersetzen. Schienenfahrzeuge könnten autonom fahren. Bankgeschäfte Online erledigt werden. Es ist wichtig, in den zur Automatisierung geeigneten Berufen mit Nachdruck an der Umsetzung solcher technischen Alternativen zu arbeiten, damit wir in den Berufen, die weniger zur Automatisierung geeignet sind, mehr Potential für Nachwuchskräfte haben. Denn es gibt viele Berufe, die schwerlich automatisiert werden können. Das sind beispielweise die Berufe, welche menschliche Zuwendung (Pflege, Medizin, Erziehung zB.) oder Kreativität erfordern.
Das Thema Fachkräftemangel beschäftigt mich derzeit sowohl als Arbeitgeber wie auch als Kommunalpolitiker. Der Blick darauf kann aus vielen verschiedenen Perspektiven interessant sein. Was ist Ihre Perspektive?